Dieses sehr denkwürdige Jahr 2020 hatte für mich trotz aller schwer erträglichen Pandemieumstände ein ganz besonderes Geschenk parat. Ja, ich habe diesem Jahr durchaus etwas zu verdanken, das ich sonst niemals auf diese Weise erlebt hätte. Eine Reise durch die Stille, durch menschenleere Weiten, durch ein Land wie aus einer anderen Welt – Namibia. Wie es tatsächlich ist, bekannte touristische Highlights in Namibia´s Süden plötzlich allein zu erleben, davon berichte ich hier.
Ok, so ganz allein war ich dieses Mal zwar nicht unterwegs – so wie z.B. auf meinen Roadtrips durch den Westen der USA (Roadtrip durch den Südwesten der USA – von Antelope Canyon bis Zion National Park (Teil 1) und Roadtrip durch den Südwesten der USA – von Sedona bis Las Vegas (Teil 2). Wir waren zu zweit, Anlass der Reise war mein 40. Geburtstag – lest dazu gern auch die vorherigen Beiträge. Das waren unvergessliche Eindrücke!
Für mich eine Rarität – für viele Einwohner eine schwere Geduldsprobe
Doch auch als Paar wird uns diese Reise immer in ganz besonderer Erinnerung bleiben – denn wann sonst wird uns jemals wieder der Luxus vergönnt sei, ein Land so fast völlig ohne andere Touristen erleben zu dürfen? Versteht mich nicht falsch, mir ist durchaus bewusst, dass das Fehlen von Reisenden für den namibischen (und weltweiten) Tourismus eine immense Katastrophe bedeutet. Was für mich als Rarität auf Reisen zählt, hat für die Einwohner natürlich eine ganz andere Bedeutung. Doch darum soll es hier nicht gehen, sondern um die unschätzbare Erfahrung, sich in den Weiten Namibias zu verlieren, ein Gefühl wie aus der Zeit gefallen zu sein, in Landschaften, die überirdisch scheinen und mich in Demut vor dieser rauen Schönheit innehalten ließen.


Unsere selbst geplante Rundreise begann in Windhuk – 8 Uhr morgens nach der Landung nahmen wir unseren Mietwagen in Empfang, einen bulligen Toyota Fortuner, den ich am Ende gar nicht mehr hergeben wollte. Der Wagen erwies uns gute Dienste, beim nächsten Namibia-Trip werde ich dasselbe Modell buchen. Entgegen der Empfehlungen vieler Reiseführer, den Tag nach der Landung noch in Windhuk zu verbringen, brachen wir nach einem Kaffee jedoch gleich auf – und waren später sehr froh über diese Entscheidung. Zu laut die Stadt, zu groß, zu viel Verkehr, zu viele Menschen – nach unserer Zeit in der Stille der Wildnis wurde das andere Extrem für mich fast unerträglich…
Ab auf die Piste – hinein in die Weite und die Stille
Unser erstes Ziel war die Desert Hills Lodge bei Seriem in der Namib, etwa 5 Stunden Fahrt entfernt. Nach dem Einkauf in Windhuk – Wasser und Biltong (das für uns seit Südafrika unverzichtbare Trockenfleisch), bog ich hinter Rehoboth von der Teerstraße ab auf die erste der vielen langen Schotterpisten, die wir die nächsten Tage fahren sollten.
Und danach kam – Weite, Stille, ein unendlicher Horizont unter blauestem Himmel. Wir waren angekommen in Namibia, dem Land mit der zweitniedrigsten Bevölkerungsdichte dieser Erde, und wir ahnten noch nicht, dass wir hier in den nächsten Tagen tatsächlich oftmals die einzigen Menschen sein sollten: Allein im Deadvlei und Sossusvlei, allein am Fish River Canyon, allein im Köcherbaumwald von Keetmanshoop, allein in Ai-Ais an den heißen Quellen, allein im Giant´s Playground, allein im Naukluft-Gebirge, allein im winzigen Weingut Neuras und zum Schluss auch allein in der Kalahari. Für mich noch jetzt unfassbar…
Namib, Sossusvlei, Deadvlei
Die 60 km lange Anfahrt ins Sossusvlei mitten in den unendlichen Dünen der Namib hat uns schon vermuten lassen, dass es wohl wenig überlaufen sein würde. Ein einziger Wagen fuhr am Horizont vor uns. Es war kühl, die Sonne stand noch tief, als wir an der berühmten Düne 45 ausstiegen – dort hielt bereits der andere Wagen.
Wir bewunderten den malerischen, eleganten Schwung des Dünenkamms und Stefan stapfte ein paar Meter hinauf. Ich war – wie so oft auf dieser Reise – einfach nur fasziniert von dieser unglaublichen Stille. So ein Frieden.

Einige Kilometer weiter kam dann der Parkplatz für die „normalen“ Fahrzeuge – für diese war hier Schluss, die Weiterfahrt war nur erlaubt für 4×4-Fahrzeuge wie unseres. Ein Shuttle brachte diejenigen weiter ins Sossusvlei, die im tiefen Sand nicht fahren konnten oder wollten. Hier war der Moment gekommen, in dem ich für unseren Wagen unsagbar dankbar war – der Toyota fräste sich durch die Sandpiste, und nach den ersten hundert Metern konnte ich nur noch grinsen – was für ein Spaß!
Ein Shuttle für den Shuttle-Fahrer
Plötzlich hielt uns ein entgegenkommendes Fahrzeug an und der Fahrer des Shuttles stieg aus – er habe den Wagen eines Ehepaar freigefahren, die im Sand steckengeblieben waren. Er bat uns, ihn bis zu seinem eigenem Fahrzeug mitzunehmen – nicht ohne sich vorher zu vergewissern, dass ich wusste, was ich tat. Er meinte, er habe an diesem Tag schon mehrere andere Wagen aus dem Sand befreit… Ich ließ mich nicht abschrecken und er bat uns, das hintere Fenster zu öffnen – wollte er sehen, was wir auf der Rückbank haben? Nein, er trat auf die seitliche Trittleiste unseres Wagen, hielt sich im Inneren am Haltegriff fest – und so wurden wir kurzerhand zum Shuttle des Shuttle-Fahrers! Ich muss oft lachen, wenn ich daran denke… Und um es kurz zu machen – wir blieben auch später nicht im Sand stecken.
Am Parkplatz am Weg zum Deadvlei standen drei andere Wagen, ein paar Menschen kamen uns bereits entgegen, die noch früher aufgebrochen waren. Wir stapften los, die erste niedrige Düne, dahinter begann „Big Daddy“, einer der dort größten Dünen – und daneben das Deadvlei, die trockene Ton-Pfanne mit den uralten toten Kameldornbäumen – ein Fotomotiv, das in keinem Namibia-Bildband fehlt. Unser Plan, „Big Daddy“ zu besteigen, verlief wortwörtlich im Sand – die Düne war wirklich SEHR hoch und es wurde zunehmend heißer. Im Deadvlei angekommen, warteten wir einige Minuten, bis sich eine kleine Gruppe anderer Reisenden auf den Rückweg begaben – und dann waren wir allein in dieser fast außerirdischen, unwirklichen Kulisse.



Wieder am Wagen angekommen, frästen wir uns weiter durch den Sand bis ganz zum Ende des Sossusvlei – und waren allein. Wir hielten unser Frühstückspicknick unter einem der riesigen Bäume, in der Nähe stand eine Oryx-Antilope im Schatten eines Baumes und beobachtete uns träge. Ich kam mir vor wie am Ende der Welt – ringsherum unendliche Sanddünen bis hin zum Ozean in weiter Ferne. Eine nahezu majestätische Landschaft ohne jegliche Geräusche, erhaben und vollkommen. Man kommt sich dort sehr klein vor als Mensch…


Den Rückweg meisterten wir dank unseres Fortuners erneut ohne Probleme, zwei Wagen auf der entgegenkommenden Spur saßen fest, der Shuttlefahrer war bereits unterwegs. Wir verließen das Sossusvlei mit wunderschönen Bildern im Kopf – und dem unvergesslichen Eindruck des menschenleeren Deadvlei.
Naukluft-Nationalpark
Auf unserer Wanderung durch den Naukluft-Nationalpark (Der Olive Trail in Namibia – eine Wanderung an die eigenen Grenzen) waren wir – nicht überraschend – bis auf eine kurze Begegnung mit der geführten kleinen Gruppe vor uns, allein unterwegs. Da lässt es sich nicht vermeiden, dass auch einige Gedanken nach dem Motto „Was wäre, wenn…“ aufkommen. Was wäre, wenn sich einer von uns verletzt? Handyempfang gab es nicht. Auf andere Menschen zu warten, wäre an diesem Tag sinnlos gewesen. Später als am frühen Vormittag bricht kein vernünftiger Mensch mehr zu dieser Wanderung auf. Auch das Wissen, dass dort Leoparden leben und giftige Schlangen, war eher kontraproduktiv. Doch ich lernte rasch, zu vertrauen – auf die eigene Stärke, die vernünftige Ausrüstung und darauf, dass eben nichts passieren würde. Auch nicht allein in der Wildnis. War ja dann auch so. Sollte ich öfter machen…

Fish River Canyon
In „normalen“ Jahren ist der Fish River Canyon, der zweitgrößte Canyon der Welt, bereits früh am Morgen gut besucht. Besuchergruppen stauen sich an den Aussichtspunkten, ein Foto ohne andere Menschen fordert Geduld. Wir waren morgens gegen 9 Uhr dort – nicht allzu früh. Wir waren – natürlich – allein. Unser Wagen stand einsam auf dem leeren Parkplatz, auf der Piste bis zum Horizont keine Staubwolke – kein anderes Fahrzeug in Sicht.



Unter uns der Canyon – so weit das Auge reicht. Eine Landschaft wie auf einem anderem Planeten, tiefe Einschnitte in die Erde, unwirtlich, scheinbar lebensfeindlich – und dennoch ein großartiges Naturwunder. Geografisch deutlich kleiner als der Grand Canyon, den ich bereits besuchen durfte, kam mir der Fish River Canyon hier am ersten Aussichtspunkt dennoch riesig vor. Wir standen und staunten. Fuhren zum zweiten Aussichtspunkt, standen wieder und staunten. Genossen die Stille, die Weite, das Ausmaß dieser Gegend. Waren allein zu zweit und genügten uns vollkommen. Was für ein Geschenk!
Köcherbaumwald und Giant´s Playground
Auf endlosen Pisten quer durch´s Land, der Blick stets bis zum Horizont – Namibia´s Süden scheint grenzenlos. Stundenlang kein anderes Fahrzeug, stundenlang keine anderen Menschen. Mit jedem Kilometer wird der Kopf freier, das Denken langsamer. Ich ertappte mich dabei, wie mir – mitten in einem Gedanken – das Denken zu anstrengend wurde. Nur schauen wollte ich, schauen und staunen und die Dimensionen aufsaugen, festhalten, mitnehmen im Herzen und im Kopf. Diese Weite kann man kaum beschreiben. Auch der Westen der USA bietet diese Weite – und ist dennoch anders. In Namibia ist es das große Nichts, was so fasziniert. Keine Orte, keine Häuser, keine Menschen – stundenlang. Allein die Landschaft ist genug.
Wie in einem anderen Universum
Bei Keetmanshoop bogen wir ab Richtung Köcherbaumwald und dem dahinter liegenden Giant´s Playground, dem „Spielplatz der Riesen“ mit seinen wie zufällig dahingewürfelten Felsformationen. Auf dem -leeren-Campingplatz mussten wir suchen und warten, bis jemand an die Rezeption kam, um unser Eintrittsticket bezahlen zu können. Die ältere Dame wirkte so, als hätte sie nicht ernsthaft mit Besuchern gerechnet. Ein Erdmännchen wuselte herum, sie hob es hoch, es war ganz zahm. Wir kauften zwei Flaschen Savanna Cider und fuhren zu den Köcherbäumen.


Auch diese wirkten wie aus einer anderen Welt. Köcherbäume gehören zu den Aloen, die Ähnlichkeit kann man erkennen. Der Köcherbaumwald bei Keetmanshoop wurde zum Nationaldenkmal erklärt, dort stehen etwa 250-300 dieser seltsam urtümlichen Gewächse. Wir liefen zwischen ihnen umher, niemand kreuzte unseren Weg. Irgendwie surreal kam mir das vor. Als ob wir ausgesetzt worden wären in einem anderen Universum…


Im Giant´s Playground die gleiche Szene – wir allein inmitten der Felsformationen. Wir kletterten auf einige hinauf, fast wie eine andere Art von Stonehenge wirkt es dort. Das Cider war erfrischend, später am Tag sollte ein heftiges Gewitter in der Kalahari für etwas Abkühlung sorgen. Zwischen den Felsen war es heiß, wir liefen zum Wagen zurück und fuhren weiter. Die Schotterpisten waren für mich nun so vertraut, dass ich mit der schnurgeraden Teerstraße, die uns in den Norden brachte, nicht viel anfangen konnte. Ein Full-Stop mit quietschenden Reifen am Schild „Tropic of Capricorn“, der südliche Wendekreis des Sternbildes Steinbock – fast hätte ich diesen vergessen. Nichts wies darauf hin, in jedem anderen Jahr würden sich die Besucher am Schild drängen – obwohl Namibia auch in „normalen“ Jahren sicherlich nicht als überlaufen zu bezeichnen ist. Am Hardap-Damm hielten wir ebenfalls kurz an, allein standen wir an der verlassenen Aussichtsterrasse, als es zu regnen begann.

Die Kalahari
Die nächste- und letzte- Station war die Kalahari. Die Red Dunes Lodge erreichten wir bei Gewitter – als einzige Gäste. Auf unserem am nächsten Tag beginnenden zweitägigen „Trans Kalahari Walk“ begleitete uns nur unser Guide. Im privaten Dünencamp genossen wir erneut den Luxus, allein zu sein. Auch dort – dieser umfassende Frieden, die Stille, die Weite, der unendliche Himmel. Mehr zu dieser unglaublichen Erfahrung hier: Der Trans Kalahari Walk – zu Fuß durch die Savanne.



Eine nahezu unwirkliche Reise-Realität
Auf den Lodges wurden wir stets mit Freude empfangen und auch -oder gerade- als einzige Gäste „königlich“ behandelt. Die Begegnungen mit Managern und Guides wurden fast schon privat, familiär, intensiv. Katja Basler, die deutsche Inhaberin des „Helmeringhausen Hotels“ im gleichnamigen winzigen Ort mitten im Nirgendwo zwischen Namib und Fish River Canyon, in dem wir übernachteten, erzählte uns, dass zu „normalen“ Zeiten dort 300-500 Gäste pro TAG (!) aufschlugen und viele von ihnen natürlich auch übernachteten. Wir hingegen saßen zu zweit beim Frühstück, bummelten allein durch den Ort, der am Ortseingang fast schon wieder endet.
Träumen von Afrika…
Wenn ich einen Moment innehalte, die Augen schließe und mich dorthin zurückversetze – in die Weite und Wildnis Namibias, dann überkommt mich eine solch unbändige Sehnsucht nach Afrika, das es schwer auszuhalten ist. Ich habe dort gemerkt, dass in mir ein tiefes Bedürfnis nach Stille und Weite, nach Wildnis und einem unbegrenzten Blick bis zum fernen Horizont herrscht, das sich hier in Deutschland kaum befriedigen lässt – gerade nicht zur aktuellen Corona-Zeit, in der ein „Ausblick“ auch im übertragenen Sinne fehlt… Ich sehne mich nach Afrika, möchte diesen Kontinent erleben, erlaufen, mit allen Sinnen spüren; den Norden Namibias, Botswana, Kenia, Tansania, immer wieder Südafrika. Irgendwann wird dies wieder möglich sein. Dann werde ich meinen Koffer packen – und mich bis dahin auf die endlosen Schotterpisten träumen. Und mich daran erinnern, wie es war, damals, als wir im Süden Namibias allein sein durften. Und niemals einsam.

Herzliche Weltenbummelgrüße von Karo

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