Da stehe ich nun, zwischen 20 Massai-Frauen mit ihren drahtigen Körpern, den kahlgeschorenen Köpfen und dem stolzen Blick, und komme mir sehr groß und sehr weiß vor. Die Emotionen überwältigen mich und mir kommen die Tränen. Gesprungen bin ich mit ihnen (vielmehr gehüpft), ihren Schmuck haben sie mir angelegt und mich in ihr Willkommensritual eingeführt. Sie singen und lachen, nahmen meine Hand und zogen mich in ihre Reihe. Völlig überraschend kam dieser Besuch in dem Massai-Dorf am Amboseli-Nationalpark in Kenia, und noch kann ich kaum glauben, dies tatsächlich zu erleben. Wie es dazu kam, will ich euch hier erzählen.
Unsere Kenia-Rundreise im November 2021 war durchweg ein Abenteuer. Wir waren – wie üblich – allein unterwegs, ohne Fahrer, ohne Guide. Den klapprigen, aber erstaunlich zähen Toyota Fortuner bin ich selbst gefahren, und noch immer kommt es mir wie ein Wunder vor, dass wir bei DIESEN Straßenverhältnissen nur eine einzige Panne hatten. Nirgendwo auf der Welt habe ich bisher so miserable Straßen erlebt. Man wollte fast weinen beim Anblick einer der wenigen betonierten Streckenabschnitte…
Unsere Rundreise durch Kenia
Ich hatte unsere Rundreise wie immer selbst geplant. Nach der Ankunft in Nairobi und einer ersten kurzen Nacht im wunderbaren „Sarova Stanley Hotel“, das der Kolonialzeit zu entspringen schien, warfen wir uns in den mörderischen Verkehr zunächst Richtung Norden zum Mount Kenya in die urige „Castle Forest Lodge“, danach zum Lake Naivasha in die „Naivasha Kongoni Lodge“, anschließend in den Amboseli Nationalpark zur großartigen „Kibo Safari Lodge“, dann in den Tsavo Ost zum wunderschön gelegenen „Voyager Ziwani Tented Camp“ und zum Abschluss eine Nacht an den Ozean in den liebevoll geführten „Galu 723 Private Ocean Club“ südlich vom Mombasa. Eine unglaublich tolle, anstrengende, erlebnisreiche und intensive Reise, die mir lange in Erinnerung bleiben wird. Wir waren tagelang die einzigen Weißen, meist auch die einzigen Fremden, und durften mehrfach die unglaubliche Freundlichkeit, Herzlichkeit und Hilfebereitschaft der Kenianer erfahren.



Als das Auto gleich am ersten Tag irgendwo am Rande einer Teeplantage liegenblieb, dauerte es keine zwei Minuten, bis ein vorbeikommender Radfahrer hielt und aus dem nächsten Dorf eine Handvoll hilfsbereiter -und neugieriger- Einwohner mitbrachte, die den Wagen flugs reparierten. Meine Erleichterung hätte nicht größer sein können, sah ich uns schon die nächsten Tage in einer Werkstatt festliegen. Brennende Straßensperren, fliegende Seitenspiegel, glimpfliche Mopedunfälle, waghalsige Überholmanöver und offenbar lebensmüde Verkehrsteilnehmer trugen nicht unbedingt dazu bei, von einer „Erholungsreise“ zu sprechen, doch das Gefühl am Ende dieser Tour war unbeschreiblich: We are survivors!
Und endlich – der Kilimanjaro
Eines der Highlight war -natürlich – der Kilimanjaro, das aus drei Gipfeln bestehende Bergmassiv mit dem legendären Ruf. Wie lange hatte ich davon geträumt, einmal diesen Berg zu sehen! Und wir hatten Glück – direkt nach unserer Ankunft in der „Kibo Safari Lodge“ zog sich die verhüllende Wolkendecke auf und gab den Blick frei auf die majestätische, schneebedeckte Bergspitze des Kibo (wie der höchste der drei zusammengehörenden Gipfel des Kilimanjaro-Massivs heißt). Auch in den nächsten Tagen sollten wir immer wieder mal in den Genuss dieser Sicht kommen, die besonders nach dem Neuschnee auf dem Gipfel atemberaubend schön war, als der Berg weiß in der Sonne glitzerte. Wahnsinn, ich konnte kaum glauben, wirklich dort zu sein…

Doch nun zu den Massai. Während einer unserer Game Drives mit Ben, dem Guide, den wir in der Lodge „mieteten“ und der uns Stunde um Stunde durch Tausende Tiere (Gnus, Zebras, Elefanten, Flusspferde, Flamingos, Geparden und Löwen, Giraffen und Wasserböcke, Antilopen und Affen, Büffel, Hyänen, Strauße etc.) durch den wirklich äußerst tierreichen Amboseli Nationalpark fuhr, fragte dieser, ob wir nicht an einem Besuch im nahegelegenen Massai-Dorf interessiert wären. Was für eine Frage, natürlich! Zumal nirgends in der Lodge ein Hinweis auf das nahegelegene Dorf zu finden war und wir von dessen Existenz gar nichts wussten.
Eintauchen in eine fremde, wilde Welt
Am Nachmittag trafen wir uns in der Lobby und zu uns in den Wagen stieg Eric, ein junger Massai aus dem Dorf, das etwa 2 km entfernt lag. Er navigierte mich dorthin – und wir tauchten in eine fremde, wilde Welt ein. Das Dorf war ein typisches Runddorf in zwei Reihen mit einem großen Platz in der Mitte, in den abends die Weidetiere (Ziegen und Rinder) getrieben werden. Es war durch dicke Akazienhecken vor Raubtieren wie Löwen und Leoparden geschützt und hatte vier Ausgänge nach allen vier Seiten, jeweils einer der vier Familien vorbehalten. Somit war das Dorf in vier Abschnitte aufgeteilt, jeweils ein Viertel wurde von einer Familie bewohnt. Dabei waren die gegenüberliegenden Familien jeweils miteinander verwandt, die nebenan gelegenen jedoch nicht.

Uns erwartete zunächst das Willkommensritual der Massai, das aus drei Teilen bestand und eine Art Sprungtanz mit Stammesgesang beinhaltete, zunächst von allen gemeinsam aufgeführt, dann getrennt von Frauen und Männer. In einer langen Reihe standen sie da, zeigten uns ihre typischen Sprünge und sangen ihre Willkommenslieder. Unglaublich, wie hoch ein Massai aus dem Stand springen kann – als wir das dann versuchten, glich es einem jämmerlichen Hüpfer…Wir standen mit großen Augen da und konnten nur staunen angesichts dieser uns so fremden Welt und des herzlichen Empfangs.

Schließlich zogen mich die Frauen in ihre Reihe, legten mir ihre Ketten um, fragten mich nach meinem Namen. Sie alle waren unglaublich herzlich und offen und forderten mich auf, ihren Tanz nachzuahmen bzw. mitzumachen. Es gab Gelächter und große Freude, als ich meine anfängliche Hemmung überwand und einfach sprang, stampfte, hüpfte und sang. Danach überreichten sie mich an Stefan, dem dann das gleiche mit den Männern widerfuhr. Wir haben uns tapfer geschlagen, finde ich heute noch 😉 Was für ein Erlebnis; ich war unglaublich dankbar dafür und mir war klar, dass ich das niemals wieder vergessen würde.
In der Hütte des Stammesoberhauptes
Eric, der in seinem Dorf die Rolle des „Fremdenführers“ und Organisators eingenommen hatte, zeigte uns anschließend das Dorf und wir durften in die Hütte seines Vaters, dem Stammesoberhaupt, eintreten. Nahezu ehrfürchtig duckten wir uns in den niedrigen Eingang und sahen erstmal gar nichts. Es war stockfinster, unsere Augen mussten sich zunächst daran gewöhnen. Die Hütten haben keine Fenster, nur einen kleinen Rauchabzug, und bestehen aus Lehm, Holz und Akazienästen auf dem Dach. In der Hütte waren zwei winzige Schlafplätze für Eltern und Kinder, eine Kochstelle, ein kleines Regal, ein paar Schüsseln und Speere, mehr nicht. Als Europäer kam uns da schon die Frage auf, wie man so leben kann, aber tatsächlich ist die Kultur der Massai eine sehr alte, und es steht mir nicht zu, diese zu beurteilen. Es liegen Welten zwischen unserem westlichen Luxus und dieser Einfachheit um Busch. Umso faszinierender fand ich es, dies erleben zu dürfen.

Infos vom Medizinmann
Nach der Hüttenbesichtigung zeigt uns der Medizinmann des Dorfes einige typische Heilpflanzen, Rinden und andere Kräuter für alltägliche Beschwerden. Tatsächlich sind die Massai ein sehr gesundes Volk, das völlig im Einklang mit der Natur lebt. Westliche Einflüsse nehmen jedoch stark zu, erklärte uns Eric, bei den Schulkinder zeigt sich immer mehr das Verlangen nach Smartphone & Co.. Seine Kultur sei eine aussterbende, sagt Eric. Die alten Traditionen verklingen nach und nach, es sei eine Frage der Zeit, wie lange es die Massai so noch gäbe. Das finde ich sehr traurig.



In der Zwischenzeit hatten alle Frauen des Dorfes einen Markt aufgebaut – in Windeseile, wie mir schien. Jede von ihnen breitete vor sich ihre kleinen selbsthergestellten Waren aus, Ketten, Schmuck, Lesezeichen, Tonfiguren etc, alles Dinge, die wir auch auf den Massai-Märkten in ganz Kenia immer wieder sehen würde, schließlich leben sie überwiegend von deren Verkauf. Wir kauften eine Kleinigkeit, wurden aber nicht gedrängt, mehr zu erwerben. Handeln gehörte dazu, das übernahm Eric.
Da wir für diesen überraschenden Ausflug leider nur eine Stunde Zeit hatten, war es schon soweit, zurückzufahren. Wir verabschiedeten uns und fuhren- randvoll mit Emotionen und Eindrücken- in unsere Lodge zurück. Bis heute denke ich an diese wunderbare und einmalige Erfahrung, an die Herzlichkeit, Unbefangenheit dieser Menschen, die noch heute so leben wie vor Tausenden von Jahren. Ich hoffe sehr, dass die alten Traditionen dieses Volkes noch lange erhalten bleiben und dass die Massai – wie auch andere Naturvölker- die Unterstützung erhalten, die sie benötigen.
Übrigens stehen wir noch heute mit Eric in Kontakt.
Herzliche Weltenbummelgrüße von Karo

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